Auf Tour im Wilden Osten Russlands

Karte
Nachdem ich bei den vorjährigen Ural-Reise-Recherchen auch auf verschiedene Felsregionen weit im Osten Russlands gestoßen war, stand damit bald mein neues Reiseziel für dieses Jahr fest: Jakutien!
Ist schon dieser Name bei uns nur wenigen geläufig, so stößt die offizielle Bezeichnung "Republik Sacha (Yakutia)" fast völlig auf Unkenntnis. Dabei nimmt die Republik Sacha fast 1/5 der Gesamtfläche Russlands ein und ist damit so groß wie die gesamte EU ohne Großbritannien, Schweden und Finnland. Aber mit knapp 1 Mill. Einwohnern lebt hier nur 1/150 der Gesamtbevölkerung Russlands. Die jakutische Sprache ist eng mit der türkischen verwandt und auch von der mongolischen beeinflusst. Sie wird von den Jakuten vor Russisch bevorzugt gesprochen.


Um die relativ teure Anreise etwas rentabler zu gestalten, hatte ich gleich 2 verschiedene Ziele ins Auge gefasst, die eigentlich jedes für sich eine eigenständige Reise darstellen:

- die bei uns nicht gänzlich unbekannten Lenskije Stolby (Lena-Säulen)

- die bei uns unbekannte heilige Felsregion Kisiljach hoch im Norden/Region Batagai


Ausgangspunkt sollte jeweils die Hauptstadt Yakutsk sein.




Die schwierigen logistischen Probleme ging ich per Internet an. Der Chef der Reiseagentur www.yakutiatravel.com in Jakutsk stellte für mich für den 1. Teil "Lenskije Stolby" ein ganz persönliches Programm zusammen. Für den 2. Teil "Kisiljach" kooperierte er mit einer anderen Agentur, die dieses Gebiet als im Programm hat: http://visityakutia.com/verkhoyansky-kisilyakh-stone-pillars-siberian-shambala/.




Yakutsk

Die moderne Hauptstadt der Republik mit ihren bereits rein äußerlich überwiegend asiatischen, meist jungen, schlanken Menschen überraschte mich mit sommerlichen Temperaturen um die 30 Grad - eher unerwartet, wenn man weiß, dass hier noch Permafrost-Gebiet ist. Die Häuser müssen auf Pfähle gebaut werden, denn bereits in 2 m Tiefe ist der Boden ständig gefroren. Das konnte ich im "Reich des ewigen Dauerfrostes", einem für Touristen in einem Steilhang angelegten Tunnel mit wundervollen Eisskulpturen, bei -18° hautnah spüren.
Über die Besonderheiten des Landes war eine Menge im "Staatlichen Museum der Geschichte und Kultur der Völker des Nordens" zu erfahren.
Untergebracht war ich bei meinen 3 Kurzaufenthalten in der Stadt im Bed & Breakfast Bravo www.bravo-hotel.ru (ausgebaute 9. Etage in einem Wohnhaus), das Zimmer für 55 €/Nacht - für diese Stadt durchaus preiswert!


Lenskije Stolby

Per Motorboot - ausgerüstet mit Zelten und allem Notwendigen zur Selbstversorgung - ging es zusammen mit Alexej, meinem Guide, Kapitän, Angler und Koch in Personalunion, ca. 200 km stromaufwärts zum kaum erschlossenen Nationalpark, der 2012 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. 4 Tage lang erkundeten wir diese wilde Region mit ihrer unglaublichen Vielfalt an imposanten Felstürmen, Nadeln und Mauern, die sich fast 50 km am rechten Ufer der Lena aneinander reihen. Die Kühnheit der Formen ist begeisternd, und man mag kaum glauben, was sich erst beim näheren Hinsehen herausstellt: splittriger, instabiler Kalk (Ergebnis der enormen jahreszeitlichen Temperaturunterschiede?) - zum Klettern völlig ungeeignet!!!

Stolby Aber außer den Felssäulen gibt es noch eine Menge weiterer sehenswerter Besonderheiten:

- An einigen Stellen der Taiga finden sich riesige wüstenartige Dünen, die sogen. Tukulany.

- Auf einem Bergrücken unweit der Mündung des Flüsschens Jurach besuchte ich die interessante Frühgeschichts-Fundstätte Diring-Jurach. Hier wurden Feuerstein-Werkzeuge von Frühzeit-Menschen gefunden, deren Herkunft von den Entdeckern noch vor denen der bisher als Wiege der Menschheit geltenden Fundorten in Ostafrika datiert wurde. Muss hier die Geschichte neu geschrieben werden? Die Wissenschaftler zweifeln noch ...

- Bei einer Wanderung durch die Taiga am linken Flussufer erlebte ich einen echten Märchenwald voller Pilze, Beeren, Waldwiesen, Moorseen …

- An der Rangerstation Labyj wurde im Zuge der Bewerbung um den UNESCO-Titel ein Zustieg zu einer tollen Aussicht über die Strom- und Felsenlandschaft mit verschieden Lehrtafeln angelegt. Es ist eine der wenigen Stellen im Nationalpark, wo man so etwas wie zaghafte Anfänge von Tourismus spüren kann. Hier legt auch der Ausflugsdampfer an, die einzige Reise-Möglichkeit für Normaltouristen. Außer ihnen verirrten sich nur noch einige wenige tapfere Kajakfahrer hierher.

Beeindruckend für mich waren nicht nur die unendlich vielen, kühnen Felstürme, sondern auch wieder das Gefühl der unendlichen Weiten und der Menschenleere in dieser Landschaft, dazu dieser gigantische Strom Lena, der etwa die doppelten Ausmaße von Europas größtem Fluss Wolga hat. Das andere Ufer ist bereits an dieser Stelle kaum zu erkennen - ein Stück nördlich von Jakutsk sieht man es gar nicht mehr.

Und mit Alex hatte ich einen sehr kompetenten Begleiter, der nicht nur Meister der Organisation und Improvisation war, sondern mir in unseren Gesprächen auch zu tieferen Einblicken in das alltägliche Leben verhalf, zumal er als mit einer Jakutin verheirateter Russe mit Sitten und Gebräuchen beider Hauptgruppen der Bevölkerung bestens vertraut ist.
                        
Dazu wieder mal bestes Wetter und keine Insektenplage - ein äußerst gelungener Auftakt!





Kisiljach

Sehr gespannt war ich auf dieses Gebiet nördlich des Polarkreises. Im Internet findet man viel Mystisches verbunden mit dieser Felsregion. Oft stößt man dabei auf die Bezeichnung "Nördliches Shambala" in Anlehnung an das tibetische mythologische Königreich. Wie wird sich dieser Glaube darstellen?

Doch zunächst ging es mit einem nur mäßig Vertrauen erweckenden Flugzeug nach Batagai, wo zusätzlich zu den 8 h Zeitverschiebung in Yakutsk nochmals 1 h hinzu kam. Hier empfingen uns unser verantwortlicher Guide Wolodja und der Fahrer eines geländegängigen Kleinbusses. Wir, das waren zunächst 7 Personen: Ein älterer Jakute und 3 jakutische Frauen, dazu 2 Ukrainerinnen und ich. Wir alle wollten für 1 Woche in die Wildnis ziehen. Später gesellten sich noch 14 Touristen aus der Nachbarstadt Werchojansk (Kältepol der Erde) hinzu, die in lediglich 4 Tagen die heiligen Kisiljach und die ihnen innewohnenden magischen Kräfte erleben wollten. Bald stellte sich heraus, dass sich alle Teilnehmer fast ausschließlich jakutisch unterhielten - außer den beiden Ukrainerinnen und mir.

LenaKatja Jekaterina (re.) und Jelena (li.) waren ein echter Glücksfall für mich. Wir hatten uns schon auf dem Flughafen in Yakutsk bekannt gemacht, und es stellte sich heraus, dass beide für deutsche Firmen arbeiten, Katja in Stuttgart (spricht perfekt deutsch) und Lena in Moskau (versteht deutsch, im Sprechen weniger geübt). Katja hat zudem ähnliche Freizeit-Interessen wie ich: extreme Trekkingtouren (z. B. Grönland, Norwegen), Fels- und Eisklettern). Wir 3 bildeten sozusagen die "Ausländerfraktion", für die es alle Erklärungen auch immer russisch geben musste. Ohne die beiden wäre es für mich sicher viel schwieriger geworden, nicht zu oft im Abseits zu stehen. Das soll aber keineswegs bedeuten, dass die Jakuten mir abweisend gegenüber gestanden hätten - im Gegenteil! Sie sind ein Volk, das auf Grund seines Glaubens viel Wert auf Toleranz und friedliches Miteinander aller Religionen und Kulturen legt. Dieser Glaube bewirkte auch, dass sie in ihrer Geschichte keine Kriege führten. In unserer Gruppe, die aus wildfremden Menschen zusammengewürfelt war, herrschte vom ersten Tag an ein sehr angenehmes, hilfsbereites Klima.

Nach dem Mittagessen im "Café Amsay" in Batagai ging es zunächst 50 km im Kleinbus über eine unbefestigte Buckelpiste nach Betenkjos, einem Dorf am Fluss Adytscha. Unterwegs gab es den obligatorischen Zwischenstopp am Pass "Baum der Schamanen", wo von allen Reisenden kleine Opfergaben an die Götter abgelegt werden. Im Ort besuchten wir das sehenswerte historisch-paleontologische Museum der Schule, wo man u. a. neben Vertretern der jetzigen Fauna auch die hier häufig gefundenen Überreste ausgestorbener Tiere wie Mammut, Nashorn, Bison... gezeigt bekommt.

Von hier an ging es per Motorboot 60 km weiter auf dem Fluss Adytscha, vorbei an einer weltweit bekannten Fundstätte von Mammut-Überresten, bis zur Einmündung des Bergflusses Tuostaach. Hier befindet sich unweit der Mündung mitten in der unendlichen Wildnis die 2006 errichtete Touristenstation "Tuostaach".

Gruppe Unser Koch Wanja, der uns während der gesamten Tour bestens versorgte, wies uns im für 30 Personen ausgelegten Wohnhaus unsere Zimmer zu. Ich wohnte mit dem 76-jährigen Jakuten Dmitrij zusammen. Die Verständigung war etwas schwierig, da er nur wenig russisch sprach. Er hatte Probleme mit seinen Beinen und war deshalb schon das 3. Mal hier- offensichtlich vertraut er der heilenden Kraft der Kisiljach mehr als den behandelnden Ärzten.

In einer "Obrjad" genannten Zeremonie wurden durch unseren Guide Wolodja, der einer alten Schamanen-Familie entstammt, die Götter um Beistand für das gute Gelingen unseres Weges in die heiligen Berge angerufen. Die Einheimischen sind sehr eng mit diesem Geisterglauben verbunden und nehmen die damit verbundenen Handlungen und Zeremonien äußerst ernst. Es war für uns Fremde deshalb selbstverständlich, uns diesen Bräuchen anzupassen. Oft werden dabei helle Pferdehaare, die an Äste oder Leinen angebunden oder im Feuer verbrannt werden, und kleines Gebäck (oladji) als Opfergabe verwendet.

Der 8 km-Aufstieg selbst war zwar anstrengend, aber immer wieder eingelegte Pausen sorgten dafür, dass selbst die Älteren und die 2 kleinen Jungs es schließlich schafften. Ein grandioser Panoramablick vom Gipfel über die Landschaft mit den verschlungenen Flussläufen und den imponierenden Felstürmen auf allen Gipfeln und Graten ringsumher entschädigte voll für die Mühen.

Nach einer Übernachtung in der neu errichteten kleinen Hütte erklärte Wolodja am nächsten Tag bei einer Vielzahl von Felsen deren Bedeutung und welche besonderen Kräfte ihnen innewohnen (Fels der Lebenskraft, der Liebe, des Glücks, des Wissens, des Wohlstandes, des Wunsches nach Nachwuchs… und sogar einer für leichteres Lernen von Fremdsprachen). Wir stellten uns dann mit gespreizten Armen an die Felsen und versuchten in stiller Andacht unsere Wünsche zu den Göttern zu senden.

Als uns dann am Abend unsere Teilnehmer der kürzeren 4-Tages-Tour verließen, kam es zu einer bewegenden Szene, bei der spontan und ganz herzlich mit Liedern, Gedichten und Tanz Abschied genommen wurde.

Auf uns verbleibende 7 wartete danach ein besonderes Ereignis. Wir brachen um Mitternacht zum langen, anstrengenden Aufstieg auf den höchsten Gipfel auf, um am nächsten Morgen gegen 5 Uhr in einer Zeremonie die Sonne beim Aufgang zu begrüßen. Leider schien eine Wolkenbank das zu beeinträchtigen. Umso mehr erstaunte uns, dass ausgerechnet während der Feuerzeremonie für 2 Minuten die Sonne als roter Feuerball mitten in den Wolken erschien. Schamanenkraft???

   
Es war für uns der eindrucksvollste Tag der gesamten Reise. Vom höchsten Gipfel stiegen wir über weite Tundra-Flächen ab zu einer tollen Felsgruppe von imposanten Türmen, darunter 3 nebeneinander stehende Säulen als Symbol für die Dreieinigkeit von Körper, Seele und Herz. Die Tundra mit ihren weichen Polstern, auf denen man bei jedem Schritt tief einsinkt, und den vielfältigsten Pflanzen und Beeren war für mich ein völlig neues Erlebnis.

Die Fürbitten des Schamanen zu Beginn haben offenbar geholfen - das Wetter war die ganze Zeit hervorragend, von Insektenplage war auch hier nichts zu spüren - alles verlief erfolgreich.

Bleibt zu erwähnen, dass die Granitfelsen der Kisiljach, die es in sehr großer Zahl auf dem 120 km² großen, z. T. unerschlossenen Gebiet gibt, auf Grund ihrer religiösen Bedeutung kein Kletterziel darstellen sollten. Der Fels ist zudem oberflächlich verwittert und oft mit schwarzen Flechten bewachsen.

Personal Mein besonderer Dank gilt unseren kompetenten Betreuern Wolodja, Wanja, Rustam und Goscha,
dazu dem jakutischen Initiator des gesamten Tourenangebotes Wladimir Tschirikow
und den beiden ukrainischen Begleiterinnen Katja und Lena, die sich so aufmerksam um mich kümmerten.

            

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